Sankara Revolution

Zitate aus einem Interview, erschienen in Jean Ziegler "Burkina Faso, eine neue Hoffnung fürAfrika", Zürich 1987.
Nehmen sie meinen Fall: Von 1000 Kindern, die im gleichen Jahr wie ich geboren wurden, ist die Hälfte in den ersten drei Lebensmonaten gestorben. Ich hatte das unverschämte Glück davonzukommen. Ich hatte auch das Glück, in der Folge nicht Opfer einer jener Krankheiten zu werden, die wir hier in Afrika kennen und die die Menschen aus meinem Jahrgang weiter dezimiert hat. Ich gehöre zu jenen 16 Kindern von 100, die zur Schule gehen konnten. Das war eine weitere unerhörte Chance. Ich gehörte zu jenen 18 von 100 Eingeschulten, die bis zur mittleren Reife kamen, und zu jenen 300 Jugendlichen im ganzen Land, die ins Ausland gehen und ihre Ausbildung vervollständigen und bei der Rückkehr sicher sein konnten, einen Arbeitsplatz zu finden. Ich gehörte zu den zwei auf 100 Soldaten, die in sozialer Hinsicht einen stabilen und gut bezahlten Platz haben . Wir sind es, die in der Stadt leben, die den Ton angeben, die der Weltöffentlichkeit erklären, was hier geht, was nicht geht und wie man die Situation hier einzuschätzen hat. Wir sind es, die von Menschenrechten sprechen, von der sinkenden Kaufkraft, vom Klima des Terrors. Wir vergessen dabei, daß wir Tausende von Kindern zum Tode verurteilt haben, weil wir nicht akzeptierten, daß unsere Gehälter auch nur ein kleines bißchen gesenkt werden sollten, um so eine kleine Gesundheitsstation zu finanzieren. Und wir haben die Weltöffentlichkeit nicht aufgerüttelt angesichts des Skandals, den diese Toten darstellen. Wir tragen unsern Teil bei zur internationalen Komplizenschaft des guten Gewissens. ‘Ich vergebe dir deine Fehler, du vergibst mir die meinen. Ich schweige zu deinen schmutzigen Geschäften, du schweigst zu meinen Untaten, und wir beide gehören zu den sauberen Leuten."

"Gewiß", sagt Sankara, "man führt nicht grundlegende Veränderungen durch ohne ein Minimum an Wahnsinn. In diesem Fall wird dies zu Nonkonformismus, zum Mut, den bekannten Formeln den Rücken zu kehren, die Zukunft zu erfinden. Vor allem brauchte es die Verrückten von gestern, damit wir uns heute so außerordentlich klarsichtig verhalten können. Ich möchte zu dieser Sorte von Verrückten gehören."

http://www.lehrer.uni-karlsruhe.de/~za167/revolution.html

 

Thomas Sankara  Staatschef von Burkina Faso 1983-1987

 Geburtstag:      21. Dezember 1949, Yako

 Todestag:        15. Oktober 1987, Ouagadougou

 Klassifikation:   Politiker  

Soldat, Offizier

Staatsoberhaupt

 Nation: Burkina Faso

 Internationales Biographisches Archiv 51/1987 vom 7. Dezember 1987

Wirken

Thomas Sankara wurde im Norden Burkina Fasos (fr. Obervolta) geboren und wurde seiner Stammeszugehörigkeit nach als Silmi-Mossi bezeichnet, d.h. als eine Art Mestize mit engen verwandtschaftlichen Beziehungen sowohl zu den Mossi als auch zu den Peulhs. S. schlug nach seiner Schulausbildung die Offizierslaufbahn ein und besuchte militärische Akademien in Madagaskar, Frankreich und Marokko. Wie später berichtet wurde, war er auch Hörer am sowjetischen Kulturzentrum in Ouagadougou. Seine politische Position wurde früh als linksradikal bezeichnet. Angeblich war er aktives Mitglied der marxistisch orientierten "Patriotischen Liga für Entwicklung" (LIPAD).

Nach Einsatz im Grenzkonflikt mit Mali (75) bekannt und populär geworden, war S. nach dem Putsch des Oberst Saye Zerbo (s.dort) im Nov. 1980 für kurze Zeit Staatssekretär für Information in der neu gebildeten Militärregierung, geriet aber schon bald wegen seiner politischen Einstellung in Konflikt mit den mehr konservativen Machthabern und stand einige Zeit unter Hausarrest. In dieser Zeit nahm er an der Planung des nächsten Putsches teil, erhielt jedoch von dem am 7. Nov. 1982 gebildeten "Conseil du salut du peuple" (dt. Volkswohlfahrtsrat) unter dem Militärarzt Jean-Baptiste Ouédraogo erst am 11. Jan. 1983 das Amt des Ministerpräsidenten. Bereits im Mai 1983 wurde S. nach Besuchen in Nordkorea und einem (angeblich von ihm eigenmächtig inszenierten Gegenbesuch des libyschen Staatschefs Gaddafi) wieder abgesetzt und verhaftet. Das Militär sollte nach Ankündigung von Ouédraogo und seinem Generalstabschef G.S. Yorian entpolitisiert werden. Ende Mai wurde der Volkswohlfahrtsrat aufgelöst.

Die Kreise um S. fanden sich jedoch mit dem neuen Kurs nicht ab und kehrten am 5. Aug. 1983 in einem blutigen Putsch an die Macht zurück. Ouédraogo wurde in Haft genommen, Oberst Gabriel Some Yorian wurde wenige Tage später bei einem angeblichen "Befreiungsversuch konterrevolutionärer Kräfte auf der Flucht erschossen". Als Präsident des Nationalen Revolutionsrates und Staatschef bildete S. am 24. Aug. 1983 die neue Regierung, in der er selbst die Ressorts Inneres und Sicherheit übernahm.

Der hochintelligente, rhetorisch brillante und charismatische S. erwies sich schnell als ein erstaunlich dynamischer und idealistischer Staatschef. Zunächst setzte er die unmittelbare Entscheidung des Volkes an die Stelle der – von ihm für eine Fassade gehaltenen – demokratischen Institutionen. "Revolutionäre Volksgerichtshöfe" (Tribunaux populaires de la révolution, TPR), deren Kompetenz im März 1985 praktisch unbegrenzt ausgeweitet wurden, urteilten über politische und wirtschaftliche Vergehen. "Komitees zur Verteidigung der Revolution" (Comités de défense de la révolution", CDR) bildeten die neue Grundstruktur des politischen und sozialen Lebens. Im Aug. 1984 wurde der Grund und Boden verstaatlicht. Eine Reihe von Kampagnen zur Alphabetisierung, zur Hausreparatur, zum Bau von Schulen, zur Verbesserung der gesundheitlichen Einrichtungen u.a. erwiesen sich als bemerkenswert erfolgreich und ließen S. zu einer Art internationalem Politstar werden. Dazu trugen nicht zuletzt seine unbestreitbare persönliche Integrität und seine Bescheidenheit bei, die in krassem Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen Potentaten stand. Als Staatskarosse benützte er einen Renault 5, seine Vermögensverhältnisse, die er Anf. 1987 offenlegte, entsprachen dem Lebensstandard seines Landes, das nach wie vor zu den ärmsten Entwicklungsländern zählt.

Den eigenen ideologischen Weg zu Selbständigkeit und Unabhängigkeit akzentuierte S. am 4. Aug. 1984 mit einem neuen Staatsnamen: aus Obervolta wurde Burkina Faso (Land der Würdigen). Mit der Gründung einer "Nationalen Union der Ältesten von Burkina Faso" (UNAB) am 18. Febr. 1986 suchte S. auch die Stammesführer in sein politisches System einzubinden. Obwohl sich S. bei seinen eigenwilligen politischen Aktionen durchaus als lernfähiger Pragmatiker erwies, machte er sich doch auch mit seiner Neigung zu radikalen Entscheidungen manche Feinde. Als 1984 rd. 2000 Lehrer für höhere Gehälter streikten, wurden sie von S. kurzerhand gefeuert. Am 28. Jan. 1985 protestierten die Gewerkschaften gegen den Verlust der demokratischen Freiheiten und die sinkende Kaufkraft. S. suspendierte die Führer von elf Gewerkschaften von ihren Ämtern. Ein führender Gewerkschaftsvertreter wurde wegen kritischer Äußerungen in Haft genommen. Mit Unwillen aufgenommen wurde auch die am 24. Febr. 1986 angekündigte Umbildung des Erziehungssystems zu einem "Instrument der Revolution". Wenig Freude bei den Betroffenen löste offenbar auch die Pflicht zu unbezahlter "Gemeinschaftsarbeit" an Samstagen, die er Ministern und Funktionären aufbürdete, aus. Dazu kamen Beschwerden über Willkürentscheidungen der TPR und CDR. Die NZZ sah im Frühjahr 1987 Burkina Faso als "Spielwiese" des Staatschefs.

Die Außenpolitik S.s wurde zunächst von der Annahme gemeinsamer Interessen zwischen Burkina Faso und Libyen bestimmt. Sie suchte zugleich eine gewisse Distanz zu Frankreich. Den Konflikt mit Mali um den Agacher-Streifen im Nordosten von Burkina Faso hatte S. in seine Amtszeit übernommen. Im Dez. 1985 kam es zu bewaffneten Zusammenstößen. Nach mangelnder Unterstützung in diesem Konflikt durch Gaddafi hielt S. nun größere Distanz zu Libyen und näherte sich wieder Frankreich, nutzte aber gleichwohl den Staatsbesuch Mitterrands im Nov. 1986 zu scharfer Kritik an der ehemaligen Kolonialmacht. Obwohl S.s Regime Anleihen bei kommunistischen Systemen machte und freundschaftliche Beziehungen mit Moskau und Havanna pflegte, war es doch ideologisch nicht eindeutig einzuordnen, zumal S. auch vor unverhohlener Kritik an sozialistischen Staaten nicht zurückschreckte. Er pflegte enge persönliche Kontakte mit dem ghanaischen Staatschef Jerry Rawlings, im übrigen war er im Kreise der afrikanischen Staatschefs als "Beispiel revolutionärer Ehrlichkeit" eher ein Enfant terrible.

Im eigenen Land ließen die anhaltend schwierigen Lebensbedingungen die anfängliche Euphorie über S.s Revolution allmählich wieder abkühlen, die Stimmen der Kritik, vor allem bei Gewerkschaften und Beamten wurden immer lauter. Trotzdem zeigten sich alle Beobachter überrascht, als es am 15. Okt. 1987 zu einem blutigen Staatsstreich unter Führung des stellv. Vorsitzenden des Nationalrats der Revolution, Hauptmann Blaise Compaoré kam, in dessen Verlauf S. in einem Schußwechsel zwischen Putschisten und Leibgarde – offenbar unbeabsichtigt – getötet wurde . Compaoré proklamierte eine "Volksfront 15. Oktober" und begründete den Putsch mit "Abweichungen S.s von der Revolution". Erste Entscheidungen der neuen Machthaber – Wiedereinsetzung der 1984 entlassenen Lehrer, Freilassung aller Gefangenen, die ohne ordentliches Gerichtsverfahren in Haft saßen, Angebot an die Gewerkschaften zur Zusammenarbeit – schienen einen demokratischeren Kurs anzudeuten, doch dürfte der gewaltsame Tod des charismatischen S. das Land noch lange überschatten. Der ugandische Präsident Museveni nannte Putsch und Tod Sankaras "eine Schande für Afrika".

S. war verheiratet, seine Frau Mariam arbeitet in einem Transportunternehmen. S. wurde nur 37 Jahre alt.

© Munzinger-Archiv GmbH, 1987

http://www.munzinger.de/search/link?link=mol-00-person&v1=00000017351

 

 

Das Feature  09.10.2007 · 19:15 Uhr

Ouagadougou, Hauptstadt von Burkina Faso (Bild: Riccardo Mastrocola)

Der Preis der Unbestechlichkeit

Thomas Sankara, Freiheitsmythos in Afrika

Von Tita Gaehme

Am 4. August 1983 befreite Hauptmann Blaise Compaoré den 36-jährigen Oberst Thomas Sankara aus dem Gefängnis. Schon am Mittag hatte ihre Revolution gesiegt. Der Fallschirmspringer, Rock-Gitarrist, Fußballspieler und Motorradfahrer Thomas Sankara wurde Präsident der ehemaligen französischen Kolonie Obervolta. Die Bibel, der Koran und Lenin waren sein Rüstzeug.

Seine Parolen aus dem Reservoir der revolutionären Rhetorik zündeten: "Die Erfindung der Zukunft wagen", "Auf die eigene Kraft vertrauen", "Dem Volk Freiheit und Würde geben", "Vaterland oder Tod".
Er gab dem Land einen neuen Namen: Burkina Faso, Land der Unbestechlichen. Persönlich blieb er unbestechlich bis zum Schluss, so tatkräftig wie glaubwürdig; ein Visionär der Freiheit, der früh schon die ökologische Bedrohung und die Verwerfungen der Globalisierung sah und sie bekämpfte. Er beanspruchte, auf Augenhöhe mit den ehemaligen Kolonialherren und der Weltbank umzugehen, und scheiterte zwischen den Fronten des Kalten Krieges.

Am 15. Oktober 1987 wurde Thomas Sankara umgebracht, ein Brudermord. Blaise Compaoré ist seitdem an der Macht.

http://www.dradio.de/dlf/programmtipp/dasfeature/661484/

 

 

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